Text von Friedrich Lensch (Seemannspastor 1924—1930 in Hamburg)
Die Deutsche Seemannsmission in Hamburg wurde am 15. Juni 1891 gegründet. Doch ist ihr Anliegen und Ziel — die Fürsorge für Leib und Seele der Seeleute — nur die Fortführung von Bemühungen, die so alt sind wie die »Christliche Seefahrt« selber und reicht bis in frühere Zeiten zurück.
Wer einmal von See her die ragenden Türme einer Hansestadt am Horizont hat auftauchen sehen, etwa Stralsund oder Rostock, oder wer sich mit der Herrlichkeit und dem Wunder der riesigen gotischen Backsteinkirchen beschäftigt, erfährt, dass diese in allen Hansestädten von Lübeck bis nach Riga, Reval, Wisby die gleichen Namen tragen, nämlich die der Aposteljünger St. Peter, St. Andreas, St. Jacob, die die Schutzheiligen, Nothelfer und Fürbitter der Seeleute waren; dazu später St. Nicolaus und überall St. Marien, der Meerstern oder Stella Maris. Denn die Schipper und Schippsmannen, die Koplüde und Schippsherren der Hanse waren es, die nicht nur Handel und Gewerbe, sondern auch das Christentum in den damals noch heidnischen Ostraum hineintrugen und christliche Kultur und Zivilisation, christliche und soziale Grundbegriffe von Ordnung, Recht und Brüderlichkeit mit sich brachten: Die »christliche« Seefahrt als Mission des Christentums. Staunend und bewundernd stehen wir heute noch vor den gewaltigen Bauwerken, beschämt von der gewaltigen geistigen gemeinschaftsbildenden Kraft, die sie hervorgebracht und mit dem Leben ihrer frommen Bürger erfüllt hat. Solange ein Schiff auf der Fahrt war, war es eben mit Gut und Ladung und Leib und Seele der Schiffsmannschaft Auf Gefahr (daher das Wort in der heutigen Bedeutung). Man denke nur an den Schiffsfriedhof der Jammerbucht im Skagerak. Diese Notgemeinschaft schloss Kaufmann, Reeder, Besatzung und deren Angehörige an Land eng zusammen und trieb nicht nur zum Gebet, zur Fürbitte, sondern auch zu verantwortlichem Einstehen des einen für den anderen.
Das Wort »Hanse« bedeutet ja nach der Meinung der vergleichenden Sprachwissenschaft nichts anderes als: »Bruderschaft, geschlossene Gesellschaft« und gibt damit den typischen Eindruck auf In- und Ausland wieder.
Schon das alte Hamburger Stadt- und Schiffsrecht, aus dem auch die abgebildete Miniatur stammt, stellt alle gerechten Ansprüche des Schiffsvolkes sicher. Bei Schiffbruch oder Verkauf geht ihre Entlohnung allen anderen Ansprüchen vor. Sogar eine gewisse Sicherung gegen Arbeitslosigkeit ist vorgesehen: »so en Mann sin Schipp verkofft, so schall he seinen Schippmannen geven tho 14 Nacht Wekenlohn«. Menschenleben geht vor Schiff und Ladung. »So men ein Schipp tobrikkt, schal de Schipherre allererst bergen de lude.« In einer späteren Fassung heißt es: »Würde jemand krank auf dem Schiffe, der Schiffer ist schuldig, denselben aus dem Schiff bringen zu lassen, in eine Herberge zu legen, und ihm Licht zu leihen, da er des Nachts bey sehen mag, auch ihm durch einen Schutzmann oder einen anderen lassen warten, auch mit Speise und Trank zu versehen, wie er‘s im Schiff hat.«
Neben die Regelung der Wohlfahrt durch das Gesetz treten schon im Mittelalter die Organisationen der Schiffer, die damals zugleich Reeder und Kaufleute waren. Schon im Jahre 1376 finden wir die Gesellschaften der Flandernfahrer, der Englandfahrer, der Schonen- und Bergenfahrer. Diese Gesellschaften bildeten Brüderschaften, die kirchlichen Charakter trugen, und deren Sinn und Zweck vor allem geistliche Versorgung und Fürbitte waren. Am kürzesten zusammengefasst ist diese Absicht in der Gründungsurkunde der Lübecker Schiffergesellschaft von 1401: da heißt es, dass sie gestiftet sei »to hulpe und to troste der lebendigen unde doden unde alle dergennen, de ere rechtfertige Narunge soken to Water warth, de sind Schipperen, Koplude edder Schippmanns, Pelegrimen effte welkerleie Lude dat id sin, der leider vele von wathers noth to deme dode komen, aver bord werden geworpen unde in ander wise vorghan unde sterven, ungebichet (ungebeichtet) unde unberuvet (ohne Reue) de van angstes wegen nene lede noch ruve umme ere sünde hebben könen, de ok nemandes hebben, de vor se biddet, denen dat gemeine beth: denen is gestiftet unde gemaket dusse broderschup unde eine ewige messe to der alle dergennen, de uth dessen Broderschop vorsterben, dat sy tho lande edder to water, dat de gude St. Nicolaus den almechtigen God vor ere aller seelen bidde. Amen. «
Das Almosengeben geschieht in mittelalterlicher Weise, weniger um des Empfangenden als um des Gebers wissen: als ein das Seelenheil verdienendes gutes Werk, das man sogar einer verstorbenen Seele im Fegfeuer zugute tun kann. So heißt es in der Stiftungsurkunde der Hamburgischen Schiffer-Gesellschaft von 1492 »Item ok schall elck brodere vor den vorstorbenen Brodere de mit ons in de Brodershop is gewesen, wan idt ehme erst tho wetende werdt, viff »Pater Noster« und viff »Ave Maria« beden dartho schal he geven den husarmen vyff pennige, tho Troste des jennen Seele de so uth dc Bröderschop verstorben is.
Jeder Schiffer dieser Bruderschaft hatte »eine Tonne St. Annen vöringe« für die Schifferbruderschaft mitzufahren, das heißt den Frachtertrag einer Tonne abzuliefern. Am Tag der heiligen drei Könige wurde dann eine Hochmesse und nachher eine Versammlung zur Rechenschaft und darauf ein Festgelage, die so genannte »Höge«, gehalten (vgl. plattdeutsch: »sich högen«). Die Gesellschaft hatte ihre eigene Kapelle in der Petrikirche und einen festen Vertrag mit den Brüdern des Franziskanerklosters, die die Messen zu lesen hatten; auch einen eigenen Friedhof, in denen die Brüder zusammen beigesetzt wurden. Bei der »Höge« kamen die Kleinodien, das silberne Zunftgeschirr der Gesellschaft, zu Ehren und Geltung. Die Ordnungsstrafen (»Brüche«) wurden meist mit einem bestimmten Maß Bier oder Wein gebüßt, die dann bei dieser Gelegenheit vertrunken wurden. Zwei »Schaffer« hatten zu bedienen und für Ordnung zu sorgen; dass »Kive und Hader« öfter vorkamen, zeigt eine Bestimmung, die den »Oberalten« vorschreibt, in Güte zu strafen, wenn sich aber einer »in der güde nicht schicken walde, und den Olderlüden ungehorsam wäre, den mögen die Olderlüde samt den gemenen Selschopsbrüdern na older gewonte up twen tunnen und ener delen uth desser selschop ruhen dar nümmer wedder intokomende.« Erst um die Reformationszeit, im Jahre 1507, wird in Hamburg von der Gesellschaft der Islandfahrer eine Brüderschaft gestiftet, die schon ganz deutlich auf die Betätigung der Nächstenliebe hinzielt. Es liegt schon im Namen »der Ißlandesfahrer armen Broderschop«. Zugleich können wir in dem Schifferstand eine gewisse soziale Umschichtung wahrnehmen. Waren früher die Schiffer zugleich Kaufleute, so tritt nun allmählich eine Scheidung zwischen Kaufmann und Schiffer ein, die im 1520 beginnenden Rechnungsbuch der Islandfahrer schon bemerkbar ist. Doch ist Kaufmann wie auch Schiffer, Knecht und Bootsmann Mitglied der Brüderschaft und leistet die Beiträge von der Fahrt. Diese wurden in dem Handelsartikel geleistet in Fischen, Schwefel, das damals in Island gefunden wurde, teilweise auch Geld. Das gängigste Zahlungsmittel waren aber die getrockneten Stockfische. Wir finden noch bis ins 18. Jahrhundert hinein für jeden Schiffer und Mann der Islandfahrer die entsprechenden Beiträge in dieser merkwürdigen Art Notgeld gebucht. Der Vorsteher des Seefahrer-Armenhauses zeigte mir noch den Stein, an dem selbst noch in unserem Jahrhundert die Elbfischer anlegten, um ihren Beitrag, allerdings in frischen Fischen, zu diesem Haus für ihre alten Kameraden zu leisten.
Die Kleinodien dieser Islandfahrer armen Brüderschaft stechen in ihrer Bescheidenheit, entsprechend dem Namen, sehr von denen anderer Gesellschaften ab. Freilich hatten sich diese bei jenen auch im Laufe von Jahrhunderten angesammelt, während die Seefahrer-Armen-Brüderschaft gerade anfing. So sind nur verzeichnet: drei schlichte Tafellaken, noch drei Tafellaken, eine Beilade, 20 »holten Tel1er«. Doch sieht man aus dem Rechnungsbuch, wie auch ihre Einnahmen zunächst verwandt werden, um in der St. Peterskirche ihre St. Annen-Kapelle mit kostbarem Gerät auszuschmücken und Seelenmessen für die verstorbenen Brüder lesen zu lassen.
Die Christliche Seefahrt in Hamburg seit der Reformation
Als durch Luthers Auftreten die katholischen Lehren vom Fegfeuer, von der Messe für verstorbene, vom Ablass usw. erschüttert wurden, war diesen Bruderschaften der eigentlich Grund ihrer Existenz entzogen. Nach dem Gesagten begreifen wir, dass Luther von seiner evangelischen Grundlage aus die Form der Bruderschaften als etwas Überflüssiges und um der üppigen Mahlzeiten willen Schädliches bekämpfte und ihnen andere Ziele zuwies. Es ist eigenartig zu sehen, wie die Reformation das ganze Bruderschaftswesen umgestaltet. Interessant auch, dass in Hamburg, schon bevor die Reformation der Lehre nach durchgeführt war, sich besonders die sozialen Gedanken Luthers durchsetzten und den Umschwung vorbereiteten. Es ist typisch, dass die Reformation hier nicht mit Lehrstreitigkeiten anfing, sondern mit der Umgestaltung der Armenpflege, auf Grund der Gotteskastenordnung des Reformators, und dass die Vertrauensmänner dieser neuen Armenpflege die Träger der Reformation geworden sind, von der katholischen Werkgerechtigkeit, die ihre Wohltätigkeit immer in erster Linie mit Rücksicht auf das eigene Seelenheil betrieb, tritt ein Umschwung ein zu warmer Aufgeschlossenheit für das Unglück und die Not des Nächsten. Überall beginnt es sich zu regen. Die Spuren der Reformation lassen sich auch ganz deutlich in den Akten und Büchern der Seefahrer-Bruderschaften verfolgen. Ja, die Seeleute scheinen an der Reformation wesentlich direkt beteiligt gewesen zu sein. So wird berichtet, dass die Katholischen einen Aufruhr beabsichtigt hatten, die Stadt an vier Ecken anstecken und, wenn das Volk zum Feuer lief, in der Verwirrung alle Evangelischen niedermachen wollten.
»Awert dit war ruchbar durch einen Goltschmidt. Idt was aber in der Nacht sulken Bysterwedder von blixen und donner, dat de lude menten, de welt wolde ein Ende nehmen. Awert de evangelisken Borger hadden sick darub gerüstet yn ihren huseren mit geschutte und andere wehre und etliche hatten 5‚ etlich 7 und etliche 10 Bootsmanns mit Wehre in eren Huseren unde de ganze Nacht eine luchte mit branden Lichten vor eren düren up der Straten hengende.«
Gleich nach der Durchführung der Reformation sehen wir in Hamburg, Lübeck und Bremen neue Seemannshäuser entstehen. In Hamburg war zu diesem Zweck die Schiffergesellschaft auf neuer Grundlage umgeformt, deren Stiftungsurkunde fast wörtlich an den Lutherschen Kleinen Katechismus anknüpft, nämlich: »Nachdem der allmächtige, der alle Menschen geschapen unde mit aller Notdurft die nicht uth egener Vernunft edder vornehmende, sundern uth luterer Gnade unde Barmhertigkeit se doch den Glöwigen thon Troste unde, as solkens göttliche Schriften vermelden, erholden mutt... is in betrachtinge sulliker anfelliger Not, de jedermann, he sie schipper, stuermann, bootsmann, schriveren und all andere seefahrenden Lüde, von göttlicher Ungnade, unstümigkeit des weders, ok aller notdürftiger anfälliger Krankheit, Lemnisse (Lähmung), Verderven und Ungesundheit, welches doch godt der allmächtige to ewigen Tagen verhöden will, disse Ordinatie vullenitagen (vollzogen)...«; weiter heißt es: «Des hebben vorerst von den schipperen de durch godes gnade, ingewinge götlichen Wortes und Betrachtung aller Krankheit darto sind bewagen worden angenamen.« Es sollen nun zunächst Wege und Mittel beschaffen werden, um »darmyt den seefahrenden armen unde kranken eyn nye hospital unde gasthuse optorichten unde de Kranken, de tidt ehres levendes darmit nach ihrer Gelegenheit versorgen unde underholen«. Auch die Islandfahrer-Bruderschaft schließt sich ganz bewusst der Reformation an. Das Buch von 1543 ist folgendermaßen betitelt: »Dyth jegenwartige bok belangett den gemeynen broderen und Koplüden, de van Hamborch aff up Ißland segeln unde darsulvest hanteren unde de de Broderschop St. Annen, wo se vorhen im unvorstande geheten
unde geholfen is, de nur tor Thidt im rechten verstande: Gott sy ewig loff: ‚Christus Broderschop’ billiker mach genomet werden, helpen holden und den vorthsetten. «.
»Gewet unde ju shall gegeven werden.«
1556 ist man endlich so weit, dass das »Trosthaus«, wie man es schön und treffend benannt hat, draußen am Schaartor gebaut werden kann, wobei ihnen ein wichtiges Anliegen war, dass nicht nur irgend ein notdürftiges Gebäude hingestellt wurde, sondern »dat it ok der Stadt zierlich syn möge«. Das Haus war gedacht als Kranken- und Waisenhaus. Für die Waisenkinder sollte neben dem Verwalter eine »dogentsame bedürftige Witwe« angenommen werden als eine rechte »Trostmutter«. Alles Geld, das durch die Beiträge und Brüche einkommt, wird genau verzeichnet und darüber jährlich Rechenschaft abgelegt. Die ganze Stiftung ist dem Hamburger Rat unterstellt. Jeder einzelne Schiffsmann wird herangezogen und die Namen verzeichnet, »sowohl derer, so wat gegeven unde derer, so nich gegeven hätten«. Bei denen soll man »ein nulla bytekenen ob dat men weten möge, wenn solke gesellen van unseren Armenhuse in künftigen Tiden etwas begehren möchten, sie in erer Armut wedderum nicht gehöret werden«. Man war weit davon entfernt, durch solche wohltätige Einrichtung Bettelei und unordentliches Wesen zu fördern. Darum wird straffe Zucht und Aufsicht geführt. »Wo awerst jemandt bübisch, ungehorsamb und motwillig befunden würde mank dem Seevolke, schall he dieser Stiftunge nichts hebben to geneten. Denn alles christliches bestellinge und Woldaten sollen förderinge und reizunge syn tor Dogend und Gottseligkeit und nicht tor Sünden Motwillen edder einiger Bosheit. Im Falle ook, dat sick jemand unschicklich in dissem Huse hielte, shall he dat stede wedder entsetzt uns syne Unterholding dasülwst berofen syn und so jemand um sine Gebrecklichkeit willen in dit Hus genommen und wedder gesund ward und sine Kost verdeenen kann, shall he na der vorstehendere Erkenntnisse wedder tor syne Arbeit gewiesen werden. Ob dat de baven Billigkeit mit unnödiger unkosten nicht beschweret und unchristlichem Lediggange und Fulheit keene Steede gegewen werde.« Auf dieser Grundlage hat das Seefahrer-Armenhaus seither bestanden und besteht, wenn auch umgebaut, bis zur Zerstörung durch den zweiten Weltkrieg. Die Islandfahrer-Armenkasse ist nachher an das Seefahrer-Armenhaus übergegangen. Später kommt dann noch hinzu, die Kasse der »Stücke vom Achten«, eine besondere »Sklavenkasse«, für die in allen Hamburger Kirchen und Gottesdiensten gesammelt wurde und die dazu bestimmt war, die von Seeräubern und Piraten gefangenen Hamburger Seeleute zurückzukaufen. Der Name stammt von einer portugiesischen Münze (pesos d‘otte). Es waren besonders die Raubstaaten von Tunis-Algier, die bis in die Nordsee hinein die Meere unsicher machten und die Hamburger Schiffe zwangen, in Konvoi zusammenzufahren unter Bedeckung von einem Kriegsschiff. Dies reichte freilich nicht aus. Deutschland hatte keine Kriegsflotte und Hamburg allein konnte keine stellen. So waren, bis 1830 die nordafrikanischen Piraten von den Franzosen niedergekämpft waren, die deutschen Schiffe schutzlos. Erst die Einigung und die Schaffung des Reiches hat der deutschen Handelsflotte auf dem Weltmeer die Geltung und seinen Seeleuten Schutz gebracht, die sich andere Nationen lange verschafft hatten. Die alte Sklavenkasse der »Stücke vom Achten« ist jetzt eine Witwen- und Waisenkasse und wird von den Oberalten der Schiffer verwaltet.
amüsant und spannend wird über das Leben an Bord vom Moses bis zum Matrosen vor dem Mast in den 1950/60er Jahren, als Nautiker hinter dem Mast in den 1970/90er Jahren berichtet
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